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Lebensgemeinschaft ab dem ersten Tag des Zusammenlebens???
Verfasst: 14.05.2006 18:19
von traumtante
Hallo erst mal

Mein Freund ist zu mir gezogen. Wir hatten bis jetzt eine Wochend - Beziehung. Nun bin ich natürlich sofort zur Arge und habe das mitgeteilt. Mein Sachbearbeiter will nun, das mein Freund vom ersten Tag unseres Zusammenwohnens sein Verdienst offenlegt und für mich und meinen Sohn aufkommt. Ist das ok? Mein Sachbearbeiter meint, es liege in seinem Ermessen, ob er eine Lebensgemeinschaft sofort oder erst später anrechnet. Ich habe hier aber andere Sachen gelesen. Deshalb, wenn es so etwas gibt, hätte ich gerne Gerichtsurteile oder Paragraphen, wo ich klare Aussagen finde, was nun stimmt. Vielen Dank im Voraus
Verfasst: 14.05.2006 19:36
von Gast
Hierzu:
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
L 9 AS 89/06 ER
06.03.2006
Eheähnliche Gemeinschaft
Der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft, der in dieser Formulierung sowohl im Arbeitsförderungsrecht als auch im Sozialhilferecht seit langem gebräuchlich ist, war in der Verwaltungspraxis und in der Rechtssprechung lange umstritten.
In seiner Entscheidung vom 17. November 1992 (Aktenzeichen 1 BvL 8/87) hat das Bundesverfassungsgericht auf eine Vorlage des Sozialgerichtes Fulda hin dargetan, mit dem Begriff "eheähnlich" habe der Gesetzgeber ersichtlich an den Rechtsbegriff der Ehe anknüpfen wollen, worunter Lebensgemeinschaften zwischen einem Mann und einer Frau zu verstehen seien, die auf Dauer angelegt seien, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuließen und sich durch innere Bindungen auszeichneten, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründeten, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gingen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung mehrfach darauf hingewiesen, für die Partner einer rechtlich nicht geregelten Gemeinschaft bestünden gegenseitige Unterhaltspflichten in rechtlicher Hinsicht nicht.
Der mit einem Arbeitslosen nicht verheiratete Partner sei diesem zum Unterhalt nicht verpflichtet. Er könne – auch beim Wirtschaften aus einem Topf – sein Einkommen ganz oder in einem hohen Maße zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden.
Der Gesetzgeber sei daher bei der Fassung des Tatbestandsmerkmales eheähnliche Gemeinschaft nur berechtigt gewesen, solche Gemeinschaften zu erfassen, in denen die Bindungen der Partner so eng seien, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden könne. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr für einander verantwortlich fühlten, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellten, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwendeten, sei ihre Lage mit derjenigen eines nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine "eheähnliche Gemeinschaft" vorliege, könne die Verwaltungspraxis nur von Indizien ausgehen.
Hier kämen insbesondere die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, in Betracht.
Dieser Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung sowohl zum Sozialhilferecht (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, 5 C 16/93; Beschluss vom 24. Juni 1999, 5 B 114/98) als auch zum Arbeitsförderungsrecht (vgl. hierzu BSG Urteil vom 17. Oktober 2002, B 7 AL 96/00 R) zu Eigen gemacht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Kammerentscheidung vom 2. September 2004 (BvR 1962/04) darauf hingewiesen, diese Rechtsprechung sei auch im Bereich des neugeschaffenen SGB II heranzuziehen (vgl. auch Brühl in Münder, Hrsg., LPK Sozialgesetzbuch II, § 7 Rn 45; Valgolio in Hauck/noftz, SGB II, K § 7 Rz 24; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rn 27; Peters in Estelmann,Hrsg., SGB II, § 7 Rn 22).
Bei der Interpretation dieses gesetzlichen Tatbestandsmerkmals sind die Gerichte unter Beachtung der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung verpflichtet, gesellschaftliche Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen und ihrer Wertung zu Grunde zu legen.
Wie sich aus der zitierten Rechsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts ergibt, kann nicht allein aus dem Zusammenleben einer Frau und eines Mannes auf die vorauszusetzende Einstehensgemeinschaft geschlossen werden.
Es sind mittlerweile viele Fälle bekannt, in denen Männer und Frauen über viele Jahre zusammen leben, ohne eine Not- und Einstehensgemeinschaft zu bilden. Dem liegt eine Vermehrung der gesellschaftlich anerkannten Lebensmodelle zu Grunde.
Während früher das Zusammenleben von Mann und Frau stets die Vermutung einer "Einstehensgemeinschaft" erlaubt haben mag, ist diese Annahme von der gesellschaftlichen Realität nicht mehr gedeckt.
Rechtlich kommt es daher darauf an, zwischen Wohngemeinschaften einerseits und "eheähnlichen Gemeinschaften" andererseits zu unterscheiden.
Dem Senat ist durchaus bewusst, dass dies die Verwaltungspraxis nicht erleichtert. Dies kann indes kein Rechtsargument für den Verzicht auf den Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen einer "eheähnlichen Gemeinschaft" sein, die ja letztlich – worauf das BVerfG hingewiesen hat – der Annahme einer nicht normierten Unterhaltsverpflichtung gleich kommt.
Prozessual ist dabei zu beachten, dass die Existenz einer eheähnlichen Gemeinschaft als anspruchsausschließender Umstand im gerichtlichen Verfahren von der Verwaltung glaubhaft zu machen ist (vgl. hierzu erneut das bereits zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 1995; Peters a.a.O., Rn 24).
Quelle:
PeNG!